Erinnerung im ländlichen Raum – Seminar in Kooperation mit der HÖB Papenburg vom 1.-3. Dezember 2023
Auch in diesem Herbst haben wir, etwas später als sonst, unser Seminar in Kooperation mit der HÖB veranstaltet. Trotz winterlichen Verhältnissen kamen viele Teilnehmer:innen aus der ganzen Republik und darüber hinaus mit ganz unterschiedlichen Interessen und Hintergründen am ersten Adventswochenende nach Papenburg, um gemeinsam mit den Referent:innen über Erinnerungen im ländlichen Raum zu lernen und zu diskutieren. Das Seminar leitete zum ersten Mal ein junges Team, bestehend aus Wiebke Tuitjer (HÖB), Joscha Hollmann (DIZ Emslandlager) und Corinna Bittner (Aktionskomitee).
Bei teils frostigen Temperaturen draußen wurde es bei traditonell hervorragender Verpflegung in der HÖB umso gemütlicher (Foto: Tessa Hesener).
Den Auftakt machte Fabian Schwanzer von der EBB Alt Rhese, der in seiner Dissertation Gedenkstättenbewegungen in der Bundesrepublik untersucht hat. In seinem Vortrag ging er auf die Entwicklungen im Emsland seit den 1950er Jahren ein und berücksichtigte dabei das Wirken verschiedener Akteur:innen: Überlebende der Emslandlager, Journalist:innen, Pfarrer, Lokalpolitiker und Akteur.innen der Zivilgesellschaft – von denen einige im Publikum anwesend waren. Dabei vertrat er die These, dass die Streitkultur und Reibung in diesem Erinnerungsumfeld ein positives Momentum brachte, aus dem Entwicklungen hervorgingen, die die Erinnerungskultur im Emsland prägten.
Der neue Leiter des DIZ, Joscha Hollmann, war nicht nur Mitveranstalter des Seminars, sondern stellte auch Ergebnisse seiner Masterarbeit vor. Er zeigte Abhängigkeiten und Kompromisse in den Diskussionen um die Erinnerungskultur im Emsland auf. Ein Fokus lag dabei – im Sinne einer „road not taken“ – auf der Entstehungsgeschichte der Historisch-Ökologischen Bildungsstätte, die in den 1980er Jahren fast das Zuhause des DIZ Emslandlager geworden wäre (und später provisorisch kurze Zeit sogar wurde). Auf der Basis intensiver Archivrecherchen belegte er, dass politische Akteure mitunter quer zur eigentlichen Parteilinie agierten und ‚Erinnerung‘ nicht immer handlungsleitende Motivation für Erinnerungsarbeit sein muss(te).
Charlotte Haugg, die inzwischen als Pädagogin an der KZ Gedenkstätte Husum-Schwesing in Schleswig-Holstein arbeitet, stellte das Projekt „Mehr als Vergangenheit“ vor, das sie leitend verantwortete. Von 2020 bis 2022 wurden hier bundesweit ehrenamtliche Multiplikator:innen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen fortgebildet. Dabei ging es, so wurde deutlich, nicht nur ums Lernen, sondern auch darum, selbst tätig zu werden. Festgehalten sind die Ergebnisse in einer Broschüre, in der verschiedene Bildungsangebote zum Anwenden und Weiterentwickeln vorgestellt werden. Die Broschüre ist hier kostenlos online einsehbar und kann auf der Homepage ebenfalls als Druckexemplar bestellt werden.
Kurzfristig absagen musste leider Martin Göske von der Mobilen Beratung – gegen Rechtsextremismus, für Demokratie in Niedersachsen. Glücklicherweise konnten wir den Filmemacher Volker Schröder aus Bad Zwischenahn/Berlin einladen, der nach einer Filmvorführung einer Kurzfassung seines Films „Wenn ich in die Tiefe Schaue“ (erstmals 1993) Fragen dazu beantwortete. Der Film enthält neben Interviews mit Überlebenden und Straßeninterviews mit Papenburger Passant:innen auch zahlreiche Aufnahmen der inzwischen weiter überformten, historischen Lagerstandorte im Emsland aus den 1990er Jahren. Volker Schröder hat im vergangenen Jahr seine Sammlung an unser Archiv gegeben und wir hoffen, bald den Film in der Neufassung als DVD und als Stream zugänglich zu machen.
Wie historisch-politische Bildung im ländlichen Raum gelingen kann, zeigte Jannik Rösner vom „Zeitwerk“ – Fachstelle für historisch- politische Bildung im Landesjugendring Brandenburg, e.V.. Der Begriff des „Raums“ spielt im Projekt „re<<member“ eine besondere Rolle. Das Konzept zielt darauf, Jugendlichen einen Raum zu geben, um selbst aktiv zu werden und Erinnerungsarbeit vor Ort zu organisieren. Am Anfang steht bei jedem Projekt die Auseinandersetzung mit den Jugendlichen in ihrer eigenen Lebenswelt und als lernende Subjekte. Wie auch im Projekt „Mehr als Vergangenheit“ ist nicht das Ziel, vorgegebene Inhalte zu vermitteln, sondern den Jugendlichen die Werkzeuge zu geben, mit denen sie selbstbestimmt Erinnerungskultur gestalten können. Auch dazu gibt es empfehlenswerte Materialien für die eigene Anwendung zum kostenlosen Download oder zur kostenfreien Bestellung in Druckform.
Daniel Chatard erklärt auf Teilnehmerfrage die Fototechnik der Lochkamera (Foto: Tessa Hesener)
Abschließend konnten wir von Daniel Chatard mehr über sein Projekt „Nicht alles Vergrabene bleibt in der Erde„ erfahren. Ausgehend von der Frage „Was kann ich denn heute da noch sehen?“ verbindet die Arbeit Daniel Chatards die eigene Familiengeschichte fotografisch mit seiner kritischen Auseinandersetzung mit der Klimakrise. Das Moor und der ländliche Raum im Emsland wurden dabei zu einer Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen individueller Lebens- und Leidensgeschichte damals und einer der größten Herausforderungen der Menschheit heute.
Wie immer haben die Teilnehmer:innen mit ihren angeregten und anregenden Fragen das Seminar geprägt. Wir freuen uns sehr, das Seminar auch in Zukunft zu gestalten und möchten dabei zunehmend auf partizipative Formate setzen. Für Anregungen zu Themen und Referent:innen stehen wir gern über unser Kontaktformular bereit. Das Seminar, das im Wechsel mit einem Seminar der Interessengemeinschaft niedersächsischer Gedenkstätten zwei Mal im Jahr statt findet, steht allen Interessierten offen.