Eindrücke von der Konferenz zu „Gedenkstättengeschichte(n)“ in Neuengamme

von | Jun 20, 2022

Vom 12.-14.05.2022 nahm ich an einer Konferenz zum Thema „Gedenkstättengeschichte(n). KZ-Gedenkstätten in postnationalsozialistischen Gesellschaften von 1945 bis heute – Bestandsaufnahme und Perspektiven“ in der Gedenkstätte Neuengamme teil. Anlass war ein Rückblick auf die Eröffnung des „Dokumentenhauses Neuengamme“, die sich 2021 zum 40. Mal jährte.

Eingang zum Gelände der Gedenkstätte Neuengamme

Die 1980er Jahre waren in Hamburg ebenso wie im Emsland und an vielen anderen Orten der Bundesrepublik eine Zeit der Begegnungen zwischen Akteuren der Gedenkstätteninitiativen mit Überlebenden und des Sammelns von Geschichten, Dokumenten und Objekten. Das Ziel war, über die Geschichte und Nachgeschichte der nationalsozialistischen Verfolgung zu informieren und ein würdiges Gedenken an die Opfer zu ermöglichen. Rückblickend stellt sich die Frage, ob und wie diese Initiativen zu der Gedenkstättenlandschaft führten wie wir sie heute kennen und welche Rolle dabei andere gesellschaftliche und politische Akteure spielten.

„Gedenkstättengeschichte“ ist also nicht nur eine Nachgeschichte des Nationalsozialismus, sondern auch eine Vorgeschichte des gegenwärtigen Umgangs damit. Ich möchte im Folgenden ein paar Eindrücke insbesondere mit Bezug auf die „Gedenkstättengeschichte“ im Emsland teilen.

Sowohl Teilnehmer:innen als auch Beiträge deckten ein sehr breites Feld von historischen Überblicken über fokussierte Einzelstudien bis hin zu didaktischen und pädagogischen Perspektiven ab. Einen Überblick verschaffte eingangs neben Dr. Katrin Hammerstein auch unser Vorstandsvorsitzender, Prof. Dr. Habbo Knoch, der die Vielzahl an Akteuren und die Ungleichzeitigkeiten von lokalen Entwicklungen in verschiedenen, sich überlagernden „Zeitbögen“ hervorhob. Vor diesem Hintergrund waren die zahlreichen Beiträge zu einzelnen Orten sehr hilfreich. Es ist hier nicht möglich alle Beiträge wiederzugeben. Wer sich einen breiteren Eindruck verschaffen möchte, findet hier das von Mitarbeiter:innen der Gedenkstätte Neuengamme und der Bundeszentrale für politische Bildung wirklich sehr gut geplante und umgesetzte Konferenzprogramm.

Zwei Beiträge möchte ich hervorheben, die die Entwicklungen der Gedenkstättengeschichte im Emsland thematisierten. Dr. Ann Katrin Düben gab Einblicke in die frühe Entwicklung der Friedhöfe und die Nachnutzung der ehemaligen Lager als Strafanstalten im Emsland seit Ende der 1940er Jahre. Nachdem in den 1950er Jahren insbesondere Überlebende eine angemessenen Pflege der Friedhöfe forderten, engagierten sich hierfür ab den 1960er Jahren auch lokale Akteure, wie die Journalisten Hermann Vinke und Gerd Kromschröder, sowie Mitglieder des „Demokratischen Clubs Papenburg“. Düben ging insbesondere auf die Vernachlässigung der Friedhöfe und die dort lange fehlende oder unzutreffende historische Einordnung ein. Wesentlich knapper fiel die Darstellung der weiteren Entwicklungen ab den 1970er Jahren und der lokalen Erinnerungsinitiative aus. Dies mag der geringen Zeit geschuldet gewesen sein, deckt sich aber mit meinem Leseeindruck ihrer Dissertation.

Der Vortrag regte bei mir auch die Frage an, wann erstens Gedenkstättengeschichten beginnen und wann zweitens von Gedenkstätten eigentlich gesprochen werden kann. Denn das, was heute als Gedenkstätten existiert, ist nicht zu vergleichen mit den frühen Formen verräumlichten Gedenkens Überlebender und Angehöriger auf den Friedhöfen und auch nicht mit der Gedenkarbeit im Sinne der „Geschichte von Unten“ in den 1970er oder 1980er Jahren. Der Gedenkstättenbegriff selbst muss somit ein Stück weit historisiert werden und taugt beim Erforschen von „Gedenkstättengeschichte“ kaum als analytische Kategorie. Denn was eine Gedenkstätte ist, was als Gedenkstätte imaginiert wird und welche Ansprüche sie erfüllen muss, ist abhängig von den jeweiligen Akteuren, den politischen und gesellschaftlichen Bedingungen, den räumlichen und nicht zuletzt auch den finanziellen Möglichkeiten. Gleichzeitig hilft der Blick „zurück“, Gedenkstätten als prozesshafte Orte zu verstehen: Auch heute verändert sich Gedenken, verändern sich Gedenkstätten.

Der Beitrag von Fabian Schwanzar, der in seiner Dissertation auch die Entwicklungen der Gedenkstätteninitiative im Emsland erforscht hat, nahm die generationsübergreifende Begegnung zwischen Überlebenden und den Akteuren der Initiativen in den 1980er Jahren als Ausgangspunkt. Er wies dabei auf die ungleichzeitigen Entwicklungen einzelner Orte hin, betonte aber auch die starke Vernetzung zwischen lokalen Initiativen auf Landes- und Bundesebene. Hervorheben möchte ich seinen Hinweis auf die emotionale Arbeit der Akteure, den zuvor auch Detlef Garbe in seinem Beitrag gegeben hatte. Die Betreuung von teils traumatisierten Überlebenden, von Angehörigen, der Umgang mit ihren Geschichten, Fragen und Bedürfnissen bei Treffen und Besuchen war ebenso Teil der Arbeit wie Quellenrecherche, Führungen oder Ausstellungskonzeptionen. Die „Moorsoldatentreffen“ im Emsland in den 1990er Jahren oder die Besuche von polnischen Kriegsgefangenen und DPs bereits in den 1980er Jahren waren auch von dieser emotionalen Arbeit und den persönlichen Beziehungen getragen, die Mitarbeiterinnen des DIZ aufbauten und pflegten. Die umfangreiche Sammlung von Erinnerungsberichten und Dokumenten von Überlebenden in unserem Archiv ist Zeugnis hiervon.

Gerade in dieser Perspektive auf Gedenkstättengeschichte als Begegnungsgeschichte wurden für mich die von Habbo Knoch eingangs skizzierten „Zeitbögen“ deutlich. Eine Einteilung, die zwischen einer Phase des Engagements der Überlebenden, der Gedenkstätteninitiativen und der staatlichen Gestaltung von Gedenkstätten unterscheidet, würde wesentlich zu kurz greifen und wird den Widersprüchen und Ungleichzeitigkeiten der Gedenkstättengeschichten nicht gerecht. Gerade in der Überschneidung von unterschiedlichen lokalen und bundesweiten Entwicklungen, in der Parallelität, den Auseinandersetzungen und der Zusammenarbeit von staatlichen Institutionen, lokalen Initiativen und Überlebenden und deren Angehörigen liegt ein zentrales Charakteristikum der Gedenkstättenvergangenheit und -gegenwart. Die damit einhergehende, nicht immer reibungslose Pluralität ist zentraler Bestandteil von Gedenkstätten als demokratische Orte. Hierauf wurde auch in der abschließenden Diskussionsrunde hingewiesen, wenn Gedenkstätten als Konfliktzonen verstanden wurden, in denen – demokratische – Aushandlungsprozesse um Anerkennung, Teilhabe und Geschichtskultur kulminieren.

Einige der Fragen, die ich von der Konferenz mitgenommen habe

Deutlich wurde für mich insgesamt das enorm hohe (Selbst-)Reflexionsniveau der Teilnehmer:innen. In den Diskussionen wurde nach den Auswirkungen der eigenen Akademisierung gefragt oder die Frage aufgeworfen, ob und in welchem Umfang eine Selbsthistorisierung von Gedenkstätten möglich oder sinnvoll ist. Hinsichtlich der Gestaltung von Gedenkstätten als „Lernorte“ wurde das Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlichen Erwartungen an Gedenkstätten und entsprechenden Versprechungen durch diese selbst und den tatsächlichen Möglichkeiten, diese in meist sehr kurzen „Pflichtbesuchen“ von Schüler:innen umzusetzen, deutlich. Die teils auch von Gedenkstättenmitarbeiter:innen aber besonders Geschichtsdidaktiker:innen gemachten Forderungen nach mehr Offenheit und Inklusion an Gedenkstätten werden dabei meist, wie auch die AG Offene Räume feststellt, von der Realität eingeholt, die sich zwischen Alltagsgeschäft und oft unzureichenden und prekären Finanzierungssituationen abspielt. Auch wenn heute die Existenz von Gedenkstätten zumindest in der Öffentlichkeit selten infrage gestellt wird: Auf die Fragen wie, wozu und für wen Gedenkstätten arbeiten (sollen) gibt es keine eindeutigen und keine einfachen Antworten.

Gedenkstättengeschichte begegnet mir auch in meiner täglichen Arbeit, sowohl in Gesprächen mit unseren Vorstandsmitgliedern als auch in den zahlreichen Quellen, die inzwischen dazu in unserem Archiv gesammelt sind. Diese bilden zu den von in staatlichen Archiven gesammelten Quellen eine Art Gegenüberlieferung: Rundbriefe, Broschüren, Dokumentationen von Besuchen Überlebender, Briefverkehr mit Überlebenden, Politiker:innen und anderen Institutionen, Fotos von ehemaligen Lagerstandorten, Friedhöfen und Treffen in den 1980er und 1990er Jahren etc. Während der Schwerpunkt der Arbeit des DIZ und auch das Sammlungsprofil des Archivs weiterhin klar auf der Geschichte der Emslandlager, der Inhaftierten, Opfer und Überlebenden liegt, so ist doch unübersehbar, welches Potenzial hier hinsichtlich der Erforschung der Nachgeschichte der Emslandlager besteht.

Weiterlesen:

Im Vorfeld der Konferenz sind Beiträge darzu im „LAG-Magazin“ 04/22 erschienen: http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/Magazin/15310