„Stolz singen das Lied die Zungen der Welt“ – Das „Moorsoldatenlied“ früher und heute

von | Sep 1, 2022

von Corinna Bittner

Auf dem Bild sind auf grauem Untergrund neun CDs ausgelegt.

Einige der CDs, die uns von den Künstler:innen für unser Archiv zugesendet wurden

Gerade erhalten wir beim DIZ viel Post und inzwischen hat sich ein kleiner Stapel CDs von Folk über Rock und Rap bis hin zu Jazz oder Drehorgelmusik auf meinem Schreibtisch gesammelt. Er wartet auf die Einordnung in unsere umfangreiche Sammlung zum „Lied der Moorsoldaten“ – zunächst begleitet mich die Musik aber bei meiner Arbeit und beim Schreiben dieses Textes. Fietje Ausländer, ehemaliger Mitarbeiter des DIZ und heute für den Verein ehrenamtlich tätig, hat zahlreiche Musiker:innen mit der Bitte kontaktiert, ihre Interpretation des „Moorsoldatenlieds“ für unser Archiv bereitzustellen. Als Antwort haben wir nun viele neue Alben erhalten, auf denen das Lied auf ganz unterschiedliche Weise aufgegriffen und interpretiert wird. So findet es sich neben anderen Revolutions- oder Protestliedern wie „Was wollen wir trinken“, das in den 1980er Jahren in der Friedensbewegung populär war, oder es begleitet das jiddische Lied „Donaj, Donaj“ im Hintergrund. Es taucht aber auch neben eigenen Werken der Musiker:innen auf. So entdecken wir beim Hören viele bekannte Lieder neu und lernen unbekannte überhaupt erst kennen. Wir danken den vielen Künstler:innen sehr für die Beiträge. Sie reihen sich ein in eine lange Geschichte der Entstehung und Neuinterpretation des „Moorsoldatenlieds“ sowie seiner Verwendung in diversen künstlerischen und politischen Kontexten.

„Stolz singen das Lied die Zungen der Welt“

 

So reflektierte der Bergarbeiter Johann Esser in seinem Gedicht „Die Verse hat ein Kumpel geschrieben“ – eines von Teusenden Gedichten aus seiner Hand – die Bedeutung und Verbreitung des Lieds. Im August 1933 verfasste er in Absprache und Zusammenarbeit mit dem Schauspieler und Regisseur Wolfgang Langhoff den Text, Rudi Goguel komponierte eine Melodie. Am 27. August 1933, einen Sonntag, führten Häftlinge des Konzentrationslager Börgermoor den „Zirkus Konzentrazani“ auf, das Ereignis gilt heute als Uraufführung des „Moorsoldatenlieds“. Das „Lied der Moorsoldaten“, auch „Moorlied“ oder „Börgermoorlied“ betitelt, ist eines von zahlreichen Liedern, das Häftlinge in nationalsozialistischen Zwangslagern teils auf Befehl, oft aber auch selbstbestimmt und nicht selten geheim und entgegen Verboten sangen. Das „Moorsoldatenlied“ verbreitete sich bald durch Transporte und Verlegungen von Gefangenen auch in andere Lager und gelangte nach „Außen“. Mit seiner eingängigen Melodie, dem sowohl bedrückenden als auch Hoffnung gebenden Text, wurde es in viele Sprachen übersetzt und im Laufe der Zeit von Häftlingen unter anderem in Sachsenhausen, Buchenwald, Ravensbrück oder Auschwitz gesungen. Der Kommunist Günter Daus beispielsweise schmuggelte bei seiner Entlassung aus dem KZ Börgermoor 1934 ein Liedblatt von Hanns Kralik aus dem Lager, das heute in der Ausstellung in der Gedenkstätte Esterwegen zu sehen ist. Weitere Liedblätter – auch vom „Esterwegenlied“ – befinden sich ebenfalls in unserer Sammlung.

Auf einem grauen Untergrund steht aufrecht und leicht geöffnet die CD "Das Lied der Moorsoldaten". Im Hintergrund sind unscharf Bücherregale zu sehen. Auf dem Cover der CD steht "Das Lied der Moorsoldaten" in durchbrochener roter Schrift in Großbuchstaben. Auf dem Cover ist auch eine dunkle Schnitzfigur eines "Moorsoldaten" zu sehen.

Die Neuauflage der Doppel-CD „Das Lied der Moorsoldaten“

1935 gelangte das Lied in die Hände von Hanns Eisler, der es im Exil in London mit einer neuen, optimistischer wirkenden, den Ursprung aber auch teilweise verwischenden Melodie versah. Es ist die heute bekannteste Version des Lieds, die über Eisler und Busch in die USA und die UdSSR gelangte. Ernst Busch brachte es als Spaniensänger 1937 in die Internationalen Brigaden. So lernte es auch der afroamerikanische Sänger Paul Robeson kennen, der es als „Song of the Peat Bog Soldiers“ in den USA sang. Die von 1942 stammende erste Aufnahme findet sich übrigens auch auf unserer Doppel-CD „Das Lied der Moorsoldaten“, die 2008 als Neuauflage der leider vergriffenen „Deluxe“-Edition „Das Lied der Moorsoldaten 1933-2000“ erschien und bei uns noch zu erhalten ist. Zu hören sind darauf insgesamt 31 Interpretationen des Lieds aus sieben Jahrzehnten, ergänzt durch ein dickes Beiheft mit vielen Informationen zu den einzelnen Aufnahmen und zur Liedgeschichte.

Natürlich möchten wir euch am Ende einige Interpretationen nicht vorenthalten: Im deutschsprachigen Raum bekanntesten ist die Interpretation von Hannes Wader in dieser Version aus den 1970er Jahren: https://www.youtube.com/watch?v=-boCKJsDe5U  Später hat Hannes Wader das Lied deutlich anders interpretiert. Wesentlich ruhiger, geradezu zurückhaltend spielt er es auf dem Album „Neue Bekannte“ von 2007. Dies gilt auch für die Live-Version von 2015. Mir selbst ist allerdings die Version der Toten Hosen aus meiner etwas späteren Musiksozialisation am vertrautesten ist: https://www.dietotenhosen.de/en/releases/songs/die-moorsoldaten  Diese Aufnahme der irischen Band Lankum, gefällt mir aktuell besonders gut: https://www.youtube.com/watch?v=oReEj9EbVNI Spannend ist auch ein Interview von zwei Bandmitgliedern. Hier wird erkennbar, wie das Lied in Verbindung mit dem Moment der historischen Entstehung verstanden wird. Dabei sind die drei Urheber des Lieds ebenso wichtig, wie die Zuordnung zur frühen Verfolgung von Gegnern des nationalsozialistischen Regimes. Auch wird klar, wie das Lied seinen Weg zur Band Lankum gefunden hat – nämlich über die Versionen von Luke Kelly (später The Dubliners) und Swan Arcade.

Weiterlesen/-hören:

Fackler, Guido: „Des Lagers Stimme“ Musik im KZ. Alltag und Häftlingskultur in den Konzentrationslagern 1933 bis 1936, Bremen 2000.

Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager (Hrsg.): Das Lied der Moorsoldaten „Bearbeitungen – Nutzungen – Nachwirkungen“, Beiheft zur Doppel CD, 2008.

Interview mit Bandmitgliedern von Lankum: https://www.youtube.com/watch?v=oReEj9EbVNI