Anlässlich des Antikriegstags fand auch in diesem Jahr eine Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung auf der Begräbnisstätte an der B401 statt. Organisiert wurde sie vom DGB-Kreisverband Nördliches Emsland. Nach der Begrüßung durch Andreas Kuper, Vorsitzender des Kreisverbands, hielten Schülerinnen des Mariengymnasiums Papenburg eine Rede mit anschließenden Diskussionsbeiträgen. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von Dita & Patrick.
Die Schülerinnen stellten uns freundlicherweise ihre eindrucksvollen Redebeiträge zur Verfügung. Darin betonen sie, dass Erinnern keine bloße Rückschau ist, sondern eine Verantwortung für Gegenwart und Zukunft. Sie machen deutlich, wie wichtig es ist, die Geschichte sichtbar zu halten, die Opfer nicht zu vergessen und Erinnerungskultur als Auftrag zu verstehen: wachsam gegenüber Hass, Gewalt und Ausgrenzung zu bleiben und sich für Frieden, Demokratie und Menschenwürde einzusetzen.
Besonders hoben die Schülerinnen die Geschichte der polnischen Freiheitskämpferinnen im Warschauer Aufstand und im Lager Oberlangen hervor. Deren Mut, Disziplin und solidarischer Zusammenhalt im Angesicht von Unterdrückung, Hunger und Leid sind bis heute ein beeindruckendes Zeugnis von Stärke und Nächstenliebe. Ihr Schicksal mahnt uns, Frieden nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern ihn aktiv zu bewahren – durch Einsatz für Demokratie, Gleichberechtigung und Zusammenhalt.

Die Beteiligten vor dem Gedenkstein für Carl von Ossietzky auf der Begräbnisstätte an der B401 (Foto O. Hublitz)
Redebeitrag unter Mitarbeit von Maja Abeln, Feemke Bartsch, Sarah Dickmann, Anna Evers, Kelly Korten, Franka Magalski und Tamara Scheepstra
„Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
wir versammeln uns heute am Antikriegstag – einen Tag, der uns alle daran erinnert, wie zerbrechlich Frieden ist und wie notwendig es bleibt, aus der Vergangenheit zu lernen. Der Antikriegstag lädt uns dazu ein, den Opfern von Krieg und Gewalt unsere Stimme zu geben und zugleich Verantwortung für Gegenwart und Zukunft zu übernehmen.
In diesem Zusammenhang möchte ich von einem Projekt berichten, das wir als Schülerinnen der 13. Klasse im Rahmen unseres Seminarfachs „Hölle im Moor“ erarbeitet haben: die neuen Gedenktafeln am ehemaligen Lager Oberlangen. Diese Auseinandersetzung hat uns eindrücklich vor Augen geführt, wie wichtig Erinnern ist. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist es unsere Aufgabe, wachsam zu bleiben und die Erinnerung an das, was geschehen ist, nicht verblassen zu lassen.
Das Lager Oberlangen wurde in der frühen NS-Zeit errichtet und hatte im Verlauf seiner Geschichte verschiedene Funktionen. Anfangs als Ausbildungslager für SA-Wachmannschaften genutzt, wurde es bald zur Haftanstalt für Strafgefangene umfunktioniert. Inhaftiert waren nicht nur Menschen, die aus politischen oder rassistischen Gründen verfolgt wurden, sondern auch viele, die aus Sicht des NS-Regimes als „kriminell“ galten.
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Lager waren äußerst hart. Die Gefangenen wurden zu schwerer Zwangsarbeit im Moor gezwungen, bei schlechter Ernährung und unter ständiger Misshandlung. Später wurde das Lager von der Wehrmacht übernommen und diente als Kriegsgefangenenlager. Menschen unterschiedlichster Herkunft, darunter auch viele sowjetische und polnische Gefangene, waren hier interniert. Gegen Ende des Krieges kamen sogar Frauen in das Lager, etwa polnische Soldatinnen der Heimatarmee. Erst im April 1945 wurde das Lager befreit.
Heute erinnern auf dem angrenzenden Friedhof Einzel- und Sammelgräber an die vielen Toten, viele von ihnen bleiben bis heute namenlos.
Oberlangen steht damit stellvertretend für das, was Krieg bedeutet: Entrechtung, Leid, Gewalt und Tod. Auch der Ort, an dem wir heute stehen, lehrt uns diese Bedeutung. Gerade am Antikriegstag wird deutlich: Oberlangen und Esterwegen sind nicht nur Orte der Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch Mahnmale für unsere Gegenwart. Sie zeigen uns, wohin Nationalismus, Militarismus und Entmenschlichung führen können.
Erinnern – das klingt nach Vergangenheit. Nach etwas, das war und abgeschlossen ist. Doch Richard von Weizsäcker hat uns mit seiner berühmten Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes 1985 gezeigt, dass Erinnern viel mehr ist: ein aktiver Prozess, der Gegenwart und Zukunft betrifft und uns alle persönlich angeht.
Damals sagte er einen Satz, der für das Selbstverständnis der deutschen Erinnerungskultur zentral geworden ist:
„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“
Mit diesen Worten stellte Weizsäcker klar: Das Ende des Zweiten Weltkriegs war nicht nur eine militärische Niederlage. Es war auch das Ende eines Systems der Unmenschlichkeit, von Verfolgung, Krieg und Vernichtung.
Doch genau dieses Eingeständnis war 1985 keineswegs selbstverständlich. Der 8. Mai wurde vielfach als Tag der Niederlage empfunden; insbesondere in Westdeutschland. Statt sich mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, verdrängten viele die Vergangenheit. Es wurde wenig über Schuld gesprochen – stattdessen sahen sich viele Deutsche eher als Opfer des Krieges, nicht als Mitverantwortliche. In der Öffentlichkeit herrschte oft Schweigen, Abwehr oder die Vorstellung, selbst nur Leidtragender gewesen zu sein.
Weizsäcker durchbrach dieses jahrzehntelange Schweigen. Er forderte ein ehrliches Erinnern – auch wenn es weh tut.
Er sagte: „Wir lernen aus unserer Geschichte, wenn wir bereit sind, uns ihr zu stellen.“
Diese Mahnung hat bis heute nichts an Gültigkeit verloren. „Es gibt keine Versöhnung ohne Erinnerung,“ sagte er, und er meinte damit, dass wir uns der Vergangenheit stellen müssen, wenn wir eine gerechte und friedliche Zukunft aufbauen wollen. Erinnern heißt also nicht, Schuld auf ewig festzuschreibe, sondern Verantwortung zu übernehmen. Und das betrifft nicht nur die Generation, die den Krieg erlebt hat.
Ganz bewusst wandte sich Weizsäcker auch an die jungen Menschen, an uns, die nachfolgenden Generationen. Er sagte:
„Die jüngeren Menschen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah – aber sie sind verantwortlich für das, was daraus in der Zukunft wird.“
Das ist einer der Kernsätze für unsere Rolle heute – gerade am Antikriegstag. Wir tragen keine Schuld am Holocaust, an der Nazi-Herrschaft oder an den Kriegsverbrechen – aber wir tragen Verantwortung dafür, dass diese Geschichte nicht vergessen wird, dass sie nicht relativiert wird, und dass wir daraus lernen. Und das bedeutet auch, dass Erinnerung nicht auf Gedenktage beschränkt bleiben darf. Sie muss lebendig bleiben.
Denn, wie Weizsäcker betonte:
„Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“
Diese Aussage ist aktueller denn je. Denn wir erleben, dass rechte Parolen wieder lauter werden, dass Antisemitismus und Rassismus zunehmen – nicht irgendwo, sondern hier, mitten unter uns. Wenn wir nicht erinnern, verlieren wir das Gespür dafür, wohin Ausgrenzung, Hass und Gleichgültigkeit führen können.
In diesem Zusammenhang hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Mahnung bei seiner Rede zum 75. Jahrestag des Kriegsendes 2020 ausgesprochen, die genau das auf den Punkt bringt:
„Wer Erinnerung verdrängt, verharmlost, vergisst, der zerstört die Fundamente unserer Demokratie.“
Damit macht er deutlich: Erinnerung ist kein sentimentaler Akt, sondern eine demokratische Notwendigkeit. Wenn wir nicht erinnern, verlieren wir unser historisches Urteilsvermögen und damit auch die Fähigkeit, demokratiefeindliche Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzutreten.
Deshalb endet Erinnerungskultur nicht in der Vergangenheit – sie beginnt dort. Und sie begleitet uns in der Gegenwart. Steinmeier betont während seiner Rede:
„Es gibt kein Ende des Erinnerns. Es gibt keine Erlösung von unserer Geschichte. Erinnerung ist ein Gebot der Menschlichkeit. Sie ist die Voraussetzung für eine bessere Zukunft.“
Er betonte, dass Erinnerung niemals bequem oder abgeschlossen sein darf. Sie muss weitergegeben werden, auch an uns. Steinmeier rief uns, den jungen Menschen, direkt zu:
„Auf euch kommt es an! Ihr seid es, die die Lehren aus diesem furchtbaren Krieg in die Zukunft tragen müssen.“
Damit unterstreicht er, was Weizsäcker schon gesagt hatte: Erinnerungskultur lebt davon, dass sie weitergeführt wird – bewusst, offen und verantwortungsvoll.
Diese Erinnerung ist nicht nur ein Blick zurück. Sie ist eine Verpflichtung für unsere Gegenwart und Zukunft. Erinnerungskultur bedeutet, dass wir uns als Gesellschaft aktiv und kritisch mit unserer Geschichte auseinandersetzen. Dass wir uns bewusst machen, welches Unrecht geschehen ist, und dass wir nicht vergessen, wer die Opfer waren: Menschen mit Namen, mit Geschichten, mit Würde.
Und genau das verbindet uns heute am Antikriegstag hier an der Begräbnisstätte Esterwegen mit dem Gedenken in Oberlangen: Beide erinnern uns daran, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Beide mahnen uns, dass Krieg immer Opfer bedeutet. Und beide fordern uns auf, Verantwortung zu übernehmen – gegen Hass, Gewalt und Ausgrenzung und für Frieden, Demokratie und Menschenwürde.
Unser Seminarfach „Hölle im Moor“ hat sich über viele Monate mit der Geschichte der Emslandlager beschäftigt. Wir haben erfahren, wie nah das Leid hier in unserer Region war – und wie wichtig es ist, diesen Ort nicht zu vergessen. Die Tafeln, die wir gemeinsam mit der Gedenkstätte Esterwegen und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge mithilfe des DIZ in Papenburg, errichten konnten, sind ein Teil dieses Erinnerns. Sie machen sichtbar, was hier geschehen ist, und sie sollen auffordern, weiterzufragen, weiterzudenken, weiter Verantwortung zu übernehmen.
Damit knüpfen wir an, was Weizsäcker und Steinmeier betont haben: Erinnerung ist nicht abgeschlossen. Sie lebt davon, dass wir sie aufnehmen, dass wir sie in unsere Gegenwart tragen. Mit unserem Projekt wollen wir zeigen: Wir sind bereit, unseren Teil dazu beizutragen.
Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus.
Vielen Dank.“

Anna Evers und Kelly Korten hielten eine Rede zur Erinnerungskultur, die von den Schülerinnen gemeinsam geschrieben wurde (Foto: O. Hublitz).
Redebeitrag von Helene Magnus
„’Tränen liefen ihr über das Gesicht. Endlich die Premiere.- Das Stück erträumt. Die Rolle wunderbar. Die Rolle einer tragischen Heldin. Ein blindes Mädchen im Lager Oberlangen, der 2. Akt.‘
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Zitat aus dem Film „Konspirantinnen -Polnische Frauen im Widerstand 1939-1945“ von Paul Meyer weist auf eindrücklichste Weise auf das Schicksal zahlreicher Polinnen im Lager Oberlangen hin. Das blinde Mädchen steht symbolisch für die über 1700 Frauen, die dort vor über 80 Jahren als Kriegsgefangene die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs verbrachten. Sie bildeten neben den polnischen, sowjetischen und italienischen männlichen Kriegsgefangenen eine weitere Gefangenengruppe dieses Lagers, welches in den Jahren 1944/45 zu einem der wenigen Frauen-Konzentrationslager in Deutschland wurde.
Im Rahmen unseres Seminarfaches zu den Emslandlagern habe ich meine Facharbeit zu eben diesen weiblichen polnischen Kriegsgefangenen geschrieben und möchte Ihnen einen kurzen Einblick darüber geben, wer diese Frauen überhaupt waren und was ihre Geschichte uns -angesichts des Anti-Kriegstages- für die Bewahrung des Friedens mitgeben kann.
Zum politischen Hintergrund der Polinnen lässt sich sagen, dass sie als sogenannte Freiheitskämpferinnen“ im Warschauer Aufstand ab August 1944 tätig waren. Sie spielten für die polnische Heimatarmee namens Armia Krajowa, die gegen die deutschen Besatzertruppen kämpfte, eine wichtige Rolle. Neben der „gängigen“ Arbeit im Sanitäts- und Rettungswesen engagierten sich viele Polinnen im Bereich Propaganda und Presse, transportierten als Meldegängerinnen oder Nachrichtenmädchen unter ständigem Einsatz ihres Lebens hochwichtige Informationen durch die umkämpfte Stadt oder beteiligten sich aktiv im Kampf. All diese mutigen Frauen, die sich unermüdlich dafür einsetzten, ihre Stadt zu befreien und dabei nicht nur der ständigen Gefahr des Todes, sondern auch Schikanierungen von männlichen Mit- Aufständischen ausgesetzt waren, haben genauso viel Platz in unseren Geschichtsbüchern verdient, wie jeder Mann, der sich am Aufstand beteiligt hat. Wenn ich Sie vor meinem Redebeitrag zu den „polnischen Freiheitskämpferinnen“ befragt hätte, hätten vermutlich nur wenige unter Ihnen ein komplexes Bild zu diesen Frauen im Kopf gehabt. Denn traurigerweise verblassen sie als „stille Heldinnen“ meist gänzlich bei der Beschreibung des Warschauer Aufstandes -trotz ihres unglaublichen Engagements für eine Beendigung des Krieges und Frieden in ihrem Heimatland.
Nach dem blutigen Niederschlag des Warschauer Aufstandes wurden von den 3000 als völkerrechtlich titulierten weiblichen Kriegsgefangenen etwa 1700 Frauen im Dezember 1944 in das Strafgefangenenlager Oberlangen deportiert -Polinnen verschiedenster sozialer Herkunft und unterschiedlichen Alters. Unter dem deutschen Lagerkommando war der Tagesablauf im Lager streng geregelt. Die strikte Organisationsstruktur zielte auf eine besondere Betreuung der jungen Frauen ab, weil sie wertvolle und tatkräftige Arbeitskräfte abgaben. Außerdem sollte der strukturierte Alltag psychischen Erkrankungen vorbeugen. Die Aufgaben der Gefangenen bestanden aus Küchen- und Putzdiensten, dem Transport von Torf zu Heizzwecken und der Verteilung von spärlich vorhandenen Lebensmitteln. Aufgrund der unzureichenden Verpflegung und schlechten Ausstattung des Lagers in dem extrem kalten Winter 1944/45 wurde die Arbeit der Frauen im Lager zur lebensbedrohlichen Herausforderung. So berichtet eine Gefangene von Zitat „vermoderten […] Holzbaracken, in denen Fenster und Türen undicht waren“ sowie einer Baracke mit „eine[r] Reihe von Blechtrögen mit spärlich fließendem Wasser […] und […] einige[n] primitive[n] Latrinen […]“ Zitat Ende als einzige Sanitäranlage für das gesamte Lager. Die vollkommen unzureichenden hygienischen Zustände verursachten bei vielen Frauen Mangelerscheinungen und Krankheiten. Zudem fehlten Hygieneartikel, Medikamente und Verbandsmittel. Die Versorgung von Kranken und Verletzten konnte nur notdürftig in einem Lazarett durch 18 Ärztinnen -alle selbst polnische Kriegsgefangene- gewährleistet werden.
Zudem gab es einige Geburten im Lager, bei denen weder Rücksicht auf die Schwangeren noch auf die Situation der Wöchnerinnen mit Säuglingen und der Babys allgemein genommen wurde. In einem Schreiben der Wehrmacht vom 11. Februar 1945 ist z.B. zu lesen, dass Zitat „der spätere Arbeitseinsatz [der Frauen nach der Entbindung] […] in der Weise [erfolgt], dass die Mütter […] abends in das Lager zurückkehren können.“ Zitat Ende. Für die frisch Entbundenen bedeutete das die Trennung von ihren Kindern und nahtlose Rückkehr in den Arbeits- und Lageralltag, was eine enorme psychische und physische Belastung darstellte.
Um dem täglichen Grauen im Lager etwas entgegenzusetzen, konzipierten die Gefangenen ein eigenes Bildungs- und Freizeitprogramm. Kinder erhielten einfachen Schulunterricht, Studentinnen Vorträge von den Pädagoginnen unter den Gefangenen. Auch kulturelle Angebote, wie Theaterstücke und „Poesie-Abende“, tägliche sportliche Pflichtübungen und sonntägliche Messen wurden organisiert.
Sehr charakteristisch für die Polinnen in Oberlangen war ein solidarischer und fürsorglicher Umgang miteinander, welcher sich besonders in Bezug auf Geburten zeigte, bei denen sich die Frauen gegenseitig bei der Betreuung der Kinder unterstützten. Insgesamt gab es in Oberlangen zehn „Lagerbabys“, von denen neun die Kriegsgefangenschaft überlebten. Neben den spärlichen Freizeitaktivitäten waren die Geburten für die Gefangenen freudvolle Ereignisse, die den tristen Lageralltag aufhellten.
Nach knapp einem halben Jahr wurde das Lager Oberlangen am 12. April 1945 von Soldaten der Ersten Polnischen Panzerdivision befreit, die Frauen mussten aber bis Mai im Lager verbleiben und betrieben dies weitgehend selbstständig. Zwischen den befreiten Polinnen und den polnischen Befreiern wurden zahlreiche Ehen geschlossen, die vielen der traumatisierten Frauen Halt und Stabilität gaben. Denn neben der Freude darüber, dass das Leiden endlich ein Ende hatte und das Hoffen auf ein besseres Leben, standen die Frauen zunächst vor dem Nichts -und vor vielen Fragen. Wohin, wenn das eigene Land im Krieg völlig zerstört wurde? Wo beginnen mit der Suche nach Angehörigen? Wie ein neues Leben anfangen in einer Zeit voll Unsicherheit?
Der Wiederaufbau einer Existenz nach dem Krieg gestaltete sich für die Polinnen aus Oberlangen insgesamt sehr schleppend und kompliziert. Als Überlebende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland zählten sie zu den sogenannten „Displaced Persons“ -Kriegsgefangene, die in deutsche Gebiete verschleppt wurden und über deren Rücktransport in ihre Heimatländer entschieden werden musste.
Um diese Menschen im Land unterzubringen, wurden Unterkünfte eingerichtet, im Emsland waren es 15 Lager. Da diese nicht ausreichten, ließen die dortigen britischen Besatzer ganze Ortschaften evakuieren – unter ihnen auch die Stadt Haren, in die Ende Mai 1945 neben Soldaten der Ersten Polnischen Panzerdivision auch die etwa 1700 ehemaligen polnischen Freiheitskämpferinnen des Warschauer Aufstandes zogen. Auch nach Auflösung der polnischen Exklave Maczków blieben viele der ehemaligen polnischen Kriegsgefangenen in Deutschland oder immigrierten in Nachbarländer Belgien, Frankreich, aber auch nach Argentinien, Australien, Kanada und Amerika. Nur wenige kehrten zurück nach Polen, auch aufgrund der im Juni 1945 gebildeten, sowjetisch-beeinflussten kommunistischen Regierung und deren Umgang mit zurückgekehrten Kriegsgefangenen. Hinzu kam, dass die polnischen Gefangenen oft keinen Kontakt mehr zu ihren Familien hatten oder Angehörige in die Sowjetunion deportiert worden waren.
Was bringt uns die Geschichte dieser Frauen nun für die heutige Zeit?
Meine erste Erkenntnis während der Bearbeitung des Themas ist das unglaublich beeindruckende Engagement der Freiheitskämpferinnen im Warschauer Aufstand. Sie widersetzten sich nicht nur der deutschen Terrorherrschaft in ihrer Heimatstadt, sondern auch den Patriarchismus aus eigenen Reihen. Sie setzten sich sowohl für die Freiheit ihres Landes als auch die Gleichberechtigung ihrer selbst als Frauen ein -wie so viele ihresgleichen es auch heutzutage weltweit tun.
Doch auch nach den militärischen Auseinandersetzungen im Warschauer Aufstand befanden sich die Polinnen weiterhin im Kampf – in einem Kampf um das Überleben, um den Erhalt von Kultur und Bildung, um Gesundheit und um das Widererlangen einer Zukunft in der Nachkriegszeit. Diesen zweiten Kampf konnten die Frauen aufgrund von zwei entscheidenden Faktoren gewinnen: Ihrer, durch die Militärausbildung im Warschauer Aufstand erworbenen Disziplin und Organisationsstruktur sowie der großen Solidarität und Fürsorge, mit der sie sich gegenseitig im harten Lageralltag unterstützten und Hoffnung schenkten. Der beeindruckende Zusammenhalt der Frauen bis über die Zeit nach den Kriegsjahren ist ein hervorzuhebendes Merkmal des Kriegsgefangenenlagers Oberlangen und dient uns heutzutage als Beispiel für die Bedeutsamkeit von Nächstenliebe.
Jetzt, 80 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges genießen wir hier in Deutschland Frieden. Viele von uns kennen es gar nicht anders, Frieden ist in unserer Gesellschaft ein gefühlt normaler Zustand, er gehört für uns so selbstverständlich zum Leben dazu, wie das Atmen. Doch wir brauchen nicht weit gucken, um zu sehen, dass unser Frieden hier Luxus ist. Denn wir haben das Glück, hier leben zu können und nicht in der Ukraine, Gaza, Sudan oder anderen Orten der Welt, um dieses Leben fürchten zu müssen.
Angesichts der aktuell wieder zunehmenden Bedrohung von rechts und stärker werdenden gesellschaftlichen Spaltungen muss uns bewusstwerden, wie hoch die Gefahr ist, dass sich das wiederholt, was niemals wieder geschehen darf. Wir müssen verstehen, wie fragil unser Frieden ist und wie wichtig es ist, ihn zu bewahren. Ich glaube, dabei kann uns die Geschichte der polnischen Freiheitskämpferinnen helfen. Nehmen wir uns ein Beispiel an ihrem unermüdlichen Engagement und kämpfen wir wie sie: ohne Waffen, Hass und Gewalt, sondern für eine Welt in Frieden, Gleichberechtigung und Zusammenhalt.
Dankeschön!“

Helene Magnus griff in ihrer Rede auf Erkenntnisse aus ihrer Facharbeit über die polnischen Frauen zurück, die im Lager Oberlangen inhaftiert waren (Foto: O. Hublitz).