Lager VII Esterwegen
zu. .Am 20. Juni 1933 erfolgte durch das Preußische Innenministerium die Festlegung, in Börgermoor, Esterwegen und Neusustrum drei Lager mit Platz für 5.000 Schutzhäftlinge errichten zu lassen. Zu diesem Zweck wurde am 28. Juni die „Verwaltungsdirektion der staatlichen Konzentrationslager“ mit Sitz in Papenburg eingerichtet, im Juli die Bewachung der SS übertragen und als Oberlagerkommandant der SS-Standartenführer Brinkmann eingesetzt.
Das Konzentrationslager Esterwegen als Doppellager mit Platz für 2.000 Gefangene wurde Mitte August weitgehend fertiggestellt und erhielt die Bezeichnung Lager II und III, obwohl die beiden Teillager von einem gemeinsamen Zaun (und später zusätzlich einer Mauer) umgeben waren. Als Lagerkommandanten setzte das Innenministerium die SS-Untersturmführer Heinrich Katzmann (Lager II) und Martin Seehaus (Lager III) ein. Die Bewachung der ab dem 10. August eintreffenden Häftlinge übernahm die SS-Gruppe West.
In den nächsten Wochen und Monaten häuften sich die Mißhandlungen und Morde von Häftlingen. Gleichzeitig gab es zahlreiche Übergriffe der SS-Leute in den umliegenden Ortschaften, die zu Protesten aus der Bevölkerung führten. Das Innenministerium ließ daraufhin im November durch bewaffnete Einheiten der Schutzpolizei die Lagerkommandanten der drei emsländischen Konzentrationslager absetzen, die SS-Wachtruppen abrücken und durch staatliche Angestellte, zu „80 % aus der SA. und 20 % aus der SS“, ersetzen. Die Dienstaufsicht der am 20. Dezember eingerichteten „Kommandantur der staatlichen Konzentrationslager“ oblag nun nicht mehr dem Geheimen Staatspolizeiamt, sondern dem Preußischen Staatsrat Oberpräsident Viktor Lutze, der auch SA-Gruppenführer war.
Im April 1934 wurden die Konzentrationslager Börgermoor und Neusustrum aufgelöst und von der preußischen Justizverwaltung als Strafgefangenenlager übernommen. Esterwegen blieb, nun unter dem Lagerkommandanten SA-Hauptsturmführer Heinrich Remmert, als Konzentrationslager bestehen.
Am 20. April übernahm der Reichsführer-SS Heinrich Himmler die Gestapo in Preußen und beauftragte den Kommandanten des KZ Dachau und SS-Gruppenführer Theodor Eicke (ab 4. Juli 1934: Inspekteur der Konzentrationslager) mit der Reorganisation der staatlichen preußischen Konzentrationslager. Zwei Monate später unterstellte sich Himmler das Lager Esterwegen „unmittelbar“ und setzte am 1. Juli den SS-Standartenführer Hans Loritz als neuen Kommandanten ein, der bis März 1936 diese Funktion ausübte. Am 1. August führte Eicke die für Dachau entwickelte Lagerordnung ein, die nicht nur die völlige Rechtlosigkeit der Häftlinge festschrieb, sondern es den Wachleuten auch ermöglichte, völlig willkürlich Häftlinge zu terrorisieren und dabei gleichzeitig „legal“, d.h. unter Ausnutzung der durch die Lagerordnung vorgegebenen, als Bestrafung deklarierten Schikanen, zu handeln.
Im Juni 1934 befanden sich, nachdem im Rahmen einer Weihnachtsamnestie 1933 zahlreiche Schutzhäftlinge entlassen worden waren, noch 812 Gefangene im Lager. Waren es Mitte 1933 überwiegend kommunistische und in kleinerer Zahl sozialdemokratische Schutzhäftlinge gewesen, kamen sehr bald Mitglieder anderer Parteien oder Gewerkschaften, Intellektuelle, Ernste Bibelforscher (Zeugen Jehovas) und Juden hinzu. Zu den bekanntesten Schutzhäftlingen gehörten Carl von Ossietzky, Friedrich Ebert jun., Ernst Heilmann, Julius Leber, Bernhard Bästlein, Theodor Neubauer und Werner Finck. Ab Herbst 1933 kamen als neue Häftlingsgruppe in Vorbeugungshaft genommene „Gewohnheitsverbrecher“ (oder „Berufsverbrecher“) hinzu. Im Oktober 1935 betrug ihre Zahl im Lager 476 Personen.
1935 nahmen die Mißhandlungen und Morde wieder deutlich zu. Formelle Untersuchungen der Staatsanwaltschaft Osnabrück wurden jedoch innerhalb kürzester Zeit eingestellt.
Nachdem am 1. April 1936 der SS-Sturmbannführer Karl Otto Koch als neuer Lagerkommandant eingesetzt und ein weiterer Ausbau des Lagers geplant worden war, erfolgte im August/September die Auflösung des Lagers als Konzentrationslager und seine Verlegung „aus Gründen der Landesverteidigung nach Oranienburg“. Wahrscheinlich 1.000 Gefangene wurden in das neue KZ Sachsenhausen überführt.
Am 7. Januar 1937 übernahm das Reichsjustizministerium das Lager mit der Bezeichnung Lager VII als siebtes Strafgefangenenlager im Emsland. Die Bewachung auch dieses Lager oblag der SA-Pionierstandarte 10, deren Angehörige den aus der KZ-Phase bekannten Terror und die Schikanen gegenüber den Gefangenen fortsetzten.
Bis 1940 betrug der Anteil der als (auch nach heutigem Rechtsempfinden) „kriminell“ einzustufenden Strafgefangenen bis zu 80 %, wobei die häufigsten Delikte „schwerer Diebstahl“, „Unterschlagung“ und „Betrug“ waren. Daneben waren weiterhin u.a. politische Häftlinge, die allerdings überwiegend ab 1937 im Lager II Aschendorfermoor konzentriert worden waren, und nun auch Homosexuelle inhaftiert. Ab 1940 kamen zunehmend wehrmachtgerichtlich verurteilten Soldaten hinzu. Der Anteil der überwiegend wegen Fahnenflucht, unerlaubter Entfernung oder ‚Zersetzung der Wehrkraft‘ Verurteilten lag spätestens nach 1942 deutlich über 50 %.
In den Kriegsjahren verschlechterten sich die Haftbedingungen zusehends. Die Arbeitszeiten wurden auf mindestens zwölf Stunden täglich erhöht, immer mehr Gefangene erkrankten aufgrund der hygienischen Zustände, durch Hunger und durch die Arbeitsbedingungen. Zwischen dem 1. April und dem 20. November 1942 starben allein 55 Häftlinge an Magen- und Darmkatarrh sowie an Mangelerscheinungen.
Ab Mai 1943 kamen in einen Teilbereich des Lagers Esterwegen, in das zu diesem Zweck vom mit deutschen Strafgefangenen belegten Restteil des Lagers scharf abgetrennte „Lager Süd“, sogenannte „Nacht und Nebel“-Gefangene aus Frankreich, Belgien und, in sehr kleiner Anzahl, aus den Niederlanden. Hierbei handelte es sich um Widerstandskämpfer, die in ihren besetzten Ländern Spionage- und Sabotagehandlungen, Streiks und andere Aktionen organisiert und durchführt hatten, verhaftet worden waren und jetzt auf ihren Prozeß warteten.
Bis zum 14. April 1944 trafen insgesamt 66 Transporte mit 2.696 „NN-Gefangenen“ im Emsland ein. Aufgrund der Überfüllung des „Lager Süd“ wurden im Februar 1944 mindestens 500 bis 600 von ihnen in das Lager Börgermoor überführt.
Die Inhaftierung im Lager Esterwegen (und in Börgermoor) erfolgte unter strengster Geheimhaltung: Die Gefangenen erhielten eine „NN“-Nummer, Schriftverkehr war grundsätzlich verboten. Nachweisbar ist, daß 165 der Belgier und 9 der Franzosen, die im Lager Esterwegen inhaftiert gewesen waren, zum Tode verurteilt und in München-Stadelheim, Dortmund, Wolfenbüttel, Braunschweig, Köln und Brandenburg-Görden hingerichtet wurden. Weitere 12 Belgier, allesamt Mitglieder der Widerstandsorganisation De Zwarte Hand, wurden am 7. August 1943 auf dem Schießplatz in Lingen-Schepsdorf erschossen, nachdem sie am 15. Januar 1943 in Wuppertal-Elberfeld vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und später nach Esterwegen überführt worden waren.
Am 10. Februar 1944 ordnete Reichsjustizminister Thierack die Räumung des Lagers von „NN-Gefangenen“ an, die bis zum 15.3. in den Oberlandesgerichtsbezirk Kattowitz verlegt und dort vom Sondergericht Oppeln abgeurteilt werden sollten. Diejenigen „NN-Gefangenen“, deren Verfahren durch den 2. Senat des Volksgerichtshofes in Leer durchgeführt werden sollten, blieben zunächst noch im Lager.
Der erste große Transport mit 900 NN-Gefangenen aus Esterwegen fand am 14. März in das Zuchthaus Gross-Strehlitz statt. Viele von ihnen gehörten zu den 900 Gefangenen, die von hier aus am 30. Oktober in das Konzentrationslager Gross-Rosen überführt wurden.
Im Lager Esterwegen waren am 1.1.1945 ca. 1.550 Gefangene registriert, darunter auch eine größere Anzahl von Personen, die in den beiden Außenkommandos Nord (in Norwegen) und West (in Frankreich) eingesetzt waren, weiterhin aber in Esterwegen geführt wurden. Im April wurden die Gefangenen in das Lager Aschendorfermoor verlegt und erlebten dort das Kriegsende.
Ende April 1945 nutzten die britischen Militärbehörden das Lager Esterwegen für kurze Zeit als Sammellager für sogenannte Displaced Persons. Im Sommer 1945 wurde auf dem Lagergelände das Civil Internment Camp (C.I.C) No. 9 unter der Zuständigkeit der Britischen Rheinarmee eingerichtet. Hier wurden alle mutmaßlichen Kriegsverbrecher (War Criminals) aus anderen Internierungslagern, u.a. aus Sandbostel, Westertimke und Fallingbostel, zusammengezogen, insbesondere ehemalige KZ-Wächterinnen und -Wächter, die ihren Prozeß bzw. ihr Spruchgerichtsverfahren erwarteten.
Im Mai 1946 waren 2.100 mutmaßliche Kriegsverbrecher in Esterwegen interniert, Ende Juni 2.612. Durch Verlegungen und Aburteilungen sank ihre Zahl auf 1.055 im Mai 1947. Im Juli 1947 wurde das Lager, seit 1.7.1946 No. 101 Prison Camp mit einem deutschen Direktor und einem britischen Kommandanten, als Gefängnis für mutmaßliche Kriegsverbrecher aufgelöst und als Gefängnis sowohl für normale Kriminelle unter der Bezeichnung „Strafanstalten Emsland, Abteilung Esterwegen“ wie auch, streng voneinander getrennt, für insgesamt ca. 900 inzwischen von deutschen Spruchgerichten verurteilte Angehörige nationalsozialistischer Organisationen weitergenutzt. Bis 1950/51 war eine zuletzt nur noch sehr geringe Zahl der von Spruchgerichten Verurteilten im Lager, die von einem britischen Kontrolloffizier bewacht wurden. Die Strafanstalt wurde noch bis 1951 genutzt.
Ursprünglich war geplant, hier anschließend für die Kultivierung der Esterweger Dose vorgesehene Arbeitskräfte unterzubringen, ein Vorhaben, das jedoch nicht realisiert wurde. Stattdessen diente das Lager von 1953 bis 1959 als Flüchtlingsdurchgangslager, bevor es Ende der 1950er/Anfang der 1960 Jahre abgerissen wurde.
Das Gelände wurde von der Bundeswehr übernommen, die es bis zum Jahr 2001 als Depot-Standort nutzte. Ab 2001 wurde das Areal im Rahmen der Planungen für die 2011 eröffnete Gedenkstätte umgestaltet.